#thema
Veröffentlicht: 23.05.2023
Autor: Ana Zirner

Warum verzichten, wenn wir gewinnen können

Umdenken erforderlich: Wenn wir das Klima schützen, schützen wir uns und unsere Zukunft.

In den Bergen spüren wir angesichts der uns umgebenden Gipfel und Täler die eigene Unbedeutsamkeit als kleine Menschen sehr deutlich. Anders als in einer städtischen Menschenmasse, wo wir uns auch klein fühlen können, ist das in den Bergen ein wohltuendes Erlebnis. Die Erhabenheit der Berge ordnet uns ein, weist uns einen natürlichen Platz zu, erdet uns. Gleichzeitig aber können wir unsere Wirksamkeit erleben. Denn wir sind durch die Energie unseres eigenen Körpers hierher gelangt. Das hat nicht nur Kraft gekostet, es gibt uns auch Kraft zurück.

In den Alpen Wandern im Bergell

 

Das Erlebnis von Unbedeutsamkeit einerseits und Selbstwirksamkeit andererseits führt uns unseren Einfluss auf die Umwelt vor Augen. In den Alpen sehen wir zudem überall die Veränderungen, die wir über die Jahrhunderte in die Landschaft getragen haben. Wir haben große Teile der Berge „gezähmt“, indem wir sie für uns nutzbar gemacht haben. Wenn wir zurückblicken, können wir feststellen, dass die Generationen vor uns dabei einen anderen, teils zweckgebundeneren aber vielleicht auch tieferen Bezug zur Natur hatten. Es ging mehr darum sie zu bewirtschaften, weil man sie zum Leben brauchte. Auch wenn das heute eigentlich nicht anders ist, hat die Industrialisierung in unserer Wahrnehmung inzwischen zu einer Entfremdung geführt. Milch kommt heute aus dem Tetrapak im Kühlregal. Das Bewusstsein, dass es eigentlich noch immer von Bauern oder vielmehr Kühen kommt, ist in den Hintergrund gerückt.

Es ist bekannt, dass wir – wenn wir es mit der Nutzung übertreiben – auch zerstören können. Bezüglich des gesamten Planeten ist das nicht anders, wie der rasante Anstieg der globalen Oberflächentemperatur der Erde seit dem Beginn der Industrialisierung um 1870 deutlich macht.[1] Gerade im März 2023 warnte UN-Generalsekretär António Guterres „Die Menschheit steht auf dünnem Eis, und dieses Eis schmilzt schnell.“[2]

Es ist sehr unangenehm sich die Folgen des Klimawandels vorzustellen. Daher ist es auch nachvollziehbar, dass wir das ungern konkret tun. Es liegt in unserer Natur Dinge, die uns bedrohlich erscheinen zu verdrängen oder ein daraus notwendiges Handeln so lange zu verschieben, wie es irgend geht. Begriffe wie "Flugscham" befeuern zudem ein polarisierendes Narrativ des schlechten Gewissens, in dem sich die Gesellschaft – zugespitzt formuliert – in die „Straßenkleber-Veganer-Ökos“ und die „SUV-fahrenden-Greta-Hasser“ spaltet. In der Folge scheint es, man müsse sich entscheiden, zwischen einer ganz- oder gar nicht klimafreundlichen Lebensweise. Wie soll sich bei so viel Druck jemals etwas bewegen, wenn das ganze Thema nicht zuletzt auch überhaupt keine Freude macht?

 

Daher denken wir uns jetzt doch lieber wieder zurück in die Berge. Dort, wo es Komplexität und Klarheit, Freiheit und Luft, Herausforderung und Entspannung unmittelbar nebeneinander und ohne Widerspruch zueinander gibt. Schöpfen wir lieber daraus Kraft, für eine optimistischere Ansicht, aus der konstruktives Handeln folgen kann.

Bergwandern in Garmisch

 

Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zwischen dem oben erwähnten Druck und der Entfremdung einerseits, und dem in der Gesellschaft wachsenden Bedürfnis nach Freizeit und Draußen-Sein andererseits. Besonders die Berge liegen hier in den letzten Jahren im Trend. Man könnte daraus kühn ableiten, dass sich das urmenschliche Bedürfnis nach dem Kontakt zur Natur wieder Bahn bricht. Das Bedürfnis nach dem „eingeordnet-sein“ zwischen wohltuender Unbedeutsamkeit und unbändiger Energie, nach der Selbstwahrnehmung als Teil des Ganzen, zwischen Himmel und Erde.

Es ist vielleicht utopisch, aber jedenfalls wünschenswert, dass durch diesen Trend das Bewusstsein für unsere Verantwortung im Zusammenhang der Prozesse auf der Erde wieder wächst.

So oder so ist es individuell durchaus lohnend, sich immer klarzumachen, dass wir ursprünglich von der Erde genährt werden. Und nicht vom Kühlregal. In die Berge zu gehen ist eine Art und Weise, diese Verbindung wieder herzustellen. Wenn wir uns dort inspirieren lassen, kann das Bewusstsein, dass wir für unsere Umwelt mitverantwortlich sind, wieder erwachen. Es keimt die Ahnung, dass es in unserem eigenen Interesse liegt, diese Verantwortung wahrzunehmen. Und schließlich wächst – gleich einer Blüte – vielleicht gar die Erkenntnis, dass diese Verantwortung etwas Schönes ist.

Blumen auf der Tour du Mont Blanc

 

Als Menschen, die sich gerne in den Bergen bewegen, tragen wir natürlich allein durch unsere Anreise oder durch unsere Ausrüstung zum Klimawandel bei. Das müssen wir nicht ausblenden. Aber daraus den Schluss zu ziehen, dass man lieber zuhause bleiben sollte, ist falsch. Es reicht nicht, darüber zu lesen und intellektuell zu begreifen, dass wir den Klimawandel eindämmen müssen. Um aus Überzeugung aktiv zu werden, brauchen wir physische Erlebnisse, die uns mit der Erde verbinden, die uns vor Augen führen, was es gilt zu schützen.

Dann fühlt es sich nicht mehr wie Verzicht an, wenn wir auf eine sorgsame Art und Weise leben und eine klimafreundliche Lebensweise entwickeln. Denn mit jeder noch so kleinen alltäglichen Entscheidung für einen ressourcenschonenden Umgang, schützen wir das, was uns erdet. Wir schützen das, was uns nährt. Und nicht zuletzt schützen wir das, was uns glücklich machen kann.

Wir brauchen Mut zur Imperfektion. Wir brauchen die Erkenntnis, dass wir vieles nicht müssen, sondern dürfen. Dass es sich gut anfühlen kann, an Gewohnheiten des Komforts zu rütteln. Denn jeder Schritt, den ich dazu beitragen kann, dass die Erde weiterhin lebendig bleibt, ist doch nichts anderes ist als Selbstfürsorge. Und damit ein Gewinn und kein Verzicht!

Ja, es hat sich gezeigt, dass wir Menschen die Macht dazu haben, das Klima aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber zeigt das nicht auch, dass wir diese Macht gemeinsam nutzen können, um in der Zukunft damit den Klimawandel einzudämmen?

Steil Eisklettern in Norwegen

 

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